Von Guatapé taumelte ich dank Vomex (gegen Reiseübelkeit) in einem überfüllten, achterbahnfahrendem Bus ziemlich müde nach Medellin. Am großen Busbahnhof folgte ich den Menschenmassen, die mich auch glücklicherweise zur Metro-Station führten. Die kommenden Tage blockierte ich mir für Reiseplanung, Blogschreiben, Sachen waschen und eine Stadtführung. Manche kennen es schon. Für mich waren sie neu – sogenannte Free-City-Tours. Man meldet sich online an, geht hin und wenn es gefällt, zahlt man einen selbst gewählten Betrag.
Es war eine der besten Stadtführungen, die ich je mitgemacht habe. Keine Jahreszahlen oder kunsthistorische Abhandlung. Nein, authentische Geschichten über die kriminelle Vergangenheit und das Leben in Colombia. Anfangs gab es eine kurze Belehrung – neben dem üblichen “Passt auf eure Rucksäcke auf!”, erklärte unser Guide: “Kaum jemand hier spricht Englisch, aber den Namen Pablo Escobar verstehen alle. Die Leute, die hier vorbeigehen, wissen nicht, in welchem Zusammenhang wir über ihn reden. Deshalb nennen wir ihn nicht beim Namen.” Und wir sollen uns nicht wundern, wenn uns Leute begrüßen. Sie freuen sich, dass ausländische Touristen kommen und sich für ihr Colombia interessieren.
Thematisch ging es dann an verschiedenen Standorten ohne Umschweife zu den brennenden Themen, die ich mir in Deutschland bruchstückhaft zusammenpuzzeln musste. Fakt ist, dass es hier im Lande keine Aufarbeitung der jüngsten Geschehnisse gibt. An den Schulen wird Politik, Soziales und Geschichte in einem Fach unterrichtet, wobei der Geschichts-Anteil verschwindend gering ist. Umso wertvoller sind solche jungen Menschen wie unser Guide, der sich nicht nur damit auseinandersetzt, sondern sein Wissen durch uns in die Welt trägt und nun in diesem Blog landet…
Traurige Vergangenheit: Colombia – Ein Drama in 5 Akten…
Akteure: Die reichen Industriellen und Landbesitzer, Armee und Polizei, die Guerilla (FARC, ELN, M19), die Drogenkartelle, die Paramilitärs und die Bevölkerung.
Erster Akt: Die linken Widerstandskämpfer (Guerilla) verschafften sich mit Gewalt Präsenz und Gehör. Die Gewalt richtete sich anfangs vor allem gegen die reichen Landbesitzer und Industriellen. Um sich zu wehren, finanzierten diese mit Hilfe der Politik private Armeen, die sogenannten Paramilitärs.
Zweiter Akt: Die Guerilla brauchte nun Geld für Waffen. Mit Schutzgelderpressung und Unterstützung des beginnenden Drogengeschäftes erschufen sie sich eine sprudelnde Geldquelle. Den Bauern auf dem Land blieb nichts anderes übrig als mitzumachen, wollten sie am Leben bleiben.
Dritter Akt: Das Drogengeschäft erreichte seinen Höhepunkt und überschwemmte die USA mit Kokain. Sowohl die Paramilitärs als auch die FARC stiegen ins Drogengeschäft ein und kooperierten mit verschiedenen Kartellen. Die Politik ging nun mit Unterstützung der USA gegen gegen die Drogenbanden vor. Leidtragend ist vor allem auch die Landbevölkerung. Morde, Massaker, Korruption … die Gewaltspirale nimmt kein Ende.
Vierter Akt: Mehrere Präsidenten versuchten mit eiserner Hand der Situation Herr zu werden. Schließlich gelang es zumindest, das Medellin-Kartell zu zerschlagen. Ein Friedensvertrag mit Straffreiheit und 10 Sitzen im Parlament für die Guerilla wird derzeit umgesetzt.
Fünfter Akt: Der neue Präsident möchte dieses Abkommen aufkündigen. Es gibt sowohl von den Paramilitärs als auch von der Guerilla extremistische Splittergruppen. Die heutigen Drogenbosse agieren diskreter und subtiler. Sie wollen sich in Ruhe ihren Geschäften widmen und lassen unbequeme Leute verschwinden, anstatt mit einer wilden Schießerei Aufmerksamkeit zu erregen.
Fortsetzung bleibt spannend…
Medellin – eine gebrannte Stadt
Die einst gefährlichste Stadt der Welt atmet hörbar auf. Dunkle, gefährliche Plätze verwandelte der Stadtrat mit Licht, Grünanlagen, Open-Air-Fotoausstellungen und entsprechender Polizeipräsenz in kleine Oasen. Immer wieder begegnete ich den überproportionalen Skulpturen des Bildhauers Fernando Botero. Vor allem kümmert man sich auch um die Armenviertel außerhalb der City mit dem Bau von Bibliotheken, Sportplätzen und Parks.
Der ganze Stolz der Medelliner ist die Metro. “Ihr werdet nie jemanden von den Einheimischen in der Metro essen sehen, keine verschmierten Fenster finden, alles ist immer blitzblank sauber und vor allem ist man leise in der Metro.”, erklärt unser Guide. Mit dem Projekt Metro begann man in den schwarzen Zeiten der Stadt. Escobars Drogenkartell kontrollierte die größten Teile des weltweiten Kokainhandels. Er führte Krieg gegen den kolumbianischen Staat. Justiz- und Polizeiangestellte standen auf seiner Gehaltsliste. Wer nicht mitmachte, wurde erschossen, Hunderte von Polizisten, Richtern, Staatsanwälten und Politikern einfach umgebracht. Terroranschläge, Entführungen und Folterungen gehörten zum Alltag in Medellín.
Die verschiedenen Akteure lieferten sich die schlimmsten Gefechte mit Bomben und Morden ohne Rücksicht auf die Bevölkerung. Zeitgleich verloren 1986 durch ein Vulkanausbruch 20.000 Menschen ihr Leben. Das Metroprojekt bedeutete Hoffnung, genau wie die vielen anderen Bemühungen der Stadt, der Welt ein anderes Medellín zu zeigen. Eines der Vorzeigeprojekt ist eine Seilbahn, die über die Armenviertel hinweg schwebt und in einen wunderbaren Naturpark führt. Sie soll den Armen leichter ermöglichen ins Tal zu kommen, was vorher mühsam und gefährlich war.