„Nach El Salvador wollt ihr? Im Ernst? Ich liebe dieses Land, aber da bekommen mich momentan keine 10 Pferde hin.“ Wir zucken mit den Schultern. Der Flug ist gebucht und die Warnung von unserem Gegenüber kommt zu spät. „Mit dem Bus reisen, ist riskant“, mahnt sie. Wir recherchieren und lesen über die Schutzgelderpressung der größten Busgesellschaft El Salvadors, die sich beharrlich weigert Geld zu zahlen und es lieber in Sicherheitstechnik investiert. Busfahrer und deren Mitfahrer leben gefährlich. Ihre Routen führen durch unterschiedliche Gangreviere. Erpressung und Morde sind an der Tagesordnung. Davor warnt unter anderem das Auswärtige Amt. Also fiel der Plan, das Land mit dem Bus zu erobern, ins Wasser. Wir mieten schnell noch am Tag vor unserem Abflug aus Mexiko ein Mietauto. Wie uns das trotz unserer vier nicht funktionierenden Kreditkarten gelingt, ist eine andere Geschichte.
Abgefahren, schrill und bunt preschen die fetten Busse durch San Salvador.
Auf dem Land ist man bescheidener. Der übliche Personentransport wird effektiv so gelöst. Wer braucht da noch eine Klimaanlage?
El Salvador verstehen
Ein neues Land. Wir tauchen mit einer Free Walking Tour und später auch mit dem Besuch grausamer Orte in die traurige Vergangenheit El Salvadors ein. Warum ist El Salvador mit einer wahnsinnig hohen Mordrate eines der gefährlichsten Länder der Welt? Spurensuche in der Geschichte.
Ursprünglich ein Randgebiet der Mayas, konnten sich die Bewohner auch hier nicht gegen die spanische Kolonisation erwehren. Nach der Unabhängigkeitserklärung (1821) kontrollierten die sogenannten „14 Familien“ im Oligarchen-Stil das Land und die Politik. Reichtum brachte den Familien die Export-Produktion von Indigo, einem blauen Farbstoff.
Feudalismus pur. Die Indigenen vertrieb man von ihrem Land und ließ sie als Tagelöhner hart arbeiten. Mit der Erfindung der chemischen Farbstoffe und somit dem Wegfall der Indigo-Einnahmequelle sollte Kaffeeanbau Geld in die Kassen spülen. So wurden die Indigenen auch von ihrem restlichem Landbesitz vertrieben. 90 % des Landes gehörten nun 0,1% der Bevölkerung. Als der Kaffeepreis fiel kam es zu einer Pleitewelle im Land. Guter Zeitpunkt … dachte sich das Militär und putschte sich an die Macht. Ungerecht fanden das vor allem die indigenen Bauern. Es fand sich ein Anführer, der einen Aufstand (1932) in El Salvador anzettelte. Allerdings führte das zu einer Katastrophe. Es kam zu einem Massaker, das die Indigenen so gut wie ausgelöschte. 30.000 Menschen wurden ermordet, das waren 20 % der gesamten Bevölkerung. Das Tragen von traditioneller Kleidung oder Sprechen der Nahuatl-Sprache bedeuteten das sofortige Todesurteil. Deshalb leben heutzutage kaum Menschen mit indigenen Wurzeln in El Salvador.
Wenn du jetzt denkst, das ist brutal … zeigt die Geschichte, es geht noch schlimmer!
Bereits seit 1939 gibt ein Wahlrecht für verheiratete Frauen, jedoch ist das ziemlich bedeutungslos. Die Wahlen werden Jahrzehnte lang manipuliert. Heute würde man sagen: Alles fake.
Wir machen einen Zeitsprung zum Ende der 70iger Jahre: Es gibt wieder mal eine Landvertreibung. Diesmal, weil man große Stauseen bauen will. Die reiche Elite schickt Todesschwadronen durchs Land und so werden auch hier alle Proteste blutig niedergeschlagen. 1979 kommt die Militärjunta an die Macht, die mit einer Landreform die Gemüter beschwichtigen will. Nicht mit uns, denken sich die Reichen der Reichsten … also diese 14 Familien, die ihr ihre Ländereien natürlich nicht zurück geben will. Sie wechseln den Regierungschef aus. Unterstützt vom Militär demonstrieren sie in Mordlust gegen Guerilla und Bevölkerung ihre Macht.
Bloß keine kommunistischen Verhältnisse! Daran hat vor allem die USA großes Interesse. Es gab noch einen weiteren Mitspieler im Bunde. Pater Oscar Romero, ein Vertreter der Befreiungstheologie. Er wollte mit Worten schlichten, Frieden stiften. Aufrufe, wie z.B. dass ein Soldat nicht gegen seinen Glauben handeln muss (Du sollst nicht töten), sind ein Dorn im Auge der Mächtigen. Taten folgten. Romero wurde am 24. März 1980 während einer Messe erschossen. Eine Kugel des Attentäters, der aus einem Auto heraus durch die offenen Türen geschossen hatte, traf Romero direkt ins Herz. Einfach so.
Die Täter flohen in die USA und erst 2004 gab es einen Gerichtsprozess, der mit einer Geldstrafe endete. Zur Trauerfeier Romeros detoniert mitten in den Menschenmassen auf der Plaza eine Bombe. Scharfschützen zielen in die versammelte eine Millionen Menschen. Panik. Es sterben 40 Menschen. Der Bürgerkrieg beginnt. Die USA unterstützt diesen Krieg mit 1 Million Dollar pro TAG. Von 4,5 Millionen Einwohner sterben 80.000 Menschen, 10.000 werden vermisst, 12 Jahre dauert der Krieg. Abgründe des menschlichen Daseins zeigen sich beim Massaker in El Mozote. Insgesamt wurden hier über 1.000 Menschen ermordet, darunter 450 Kinder. Die Verantwortlichen beriefen sich nach den Friedensverhandlungen auf das Amnestiegesetz (1993), welches ihnen Straflosigkeit versprach. Sie wurden nie vor Gericht gestellt.
Die Zahlen hinter den Namen ist das Alter!
Im Prinzip war dieser Krieg ähnlich wie in Vietnam ein Krieg zwischen den Supermächten. Wir staunen nicht schlecht, als wir in einem Museum viele deutsche Zeitungsartikel und Plakate sowohl aus Ost- als auch Westdeutschland sehen.
Zehntausende Familien flüchteten damals in die Nachbarländer und viele schafften es in die USA. Die rund 40.000 schlecht integrierten Flüchtlingskinder ohne Ausbildung wurden in den neunziger Jahren wegen kleinster Straftaten sofort nach El Salvador abgeschoben. Viele von ihnen hatten dort keine Familie mehr, sprachen kein Spanisch und fanden sich in Banden zusammen. Sie brachten zum Teil ihre Bandenidentität aus Los Angeles mit. Man könnte auch sagen, die Banden, die heute das Land drangsalieren, wurden aus den USA importiert. Waffen, das Fundament der Gangs, gab es ja noch genug im Land.
„El Salvador, Guatemala und Honduras sind zu faktischen Kriegsgebieten geworden, wo Menschenleben entbehrlich zu sein scheinen. Millionen Menschen leben in andauernder Angst davor, was Bandenmitglieder oder Sicherheitskräfte ihnen oder ihren Angehörigen antun können. Diese Millionen sind die Protagonisten in einer der am wenigsten sichtbaren Flüchtlingskrise der Welt.“
Salil Shetty, Generalsekretär von Amnesty International, 14. Oktober 2016
Noch heute fliehen 300-400 Salvadorianer pro Tag ins Ausland. Unter Trumps Regierung wurde 2018 der besondere Schutzstatus von ca. 200.000 Flüchtlingen aus El Salvador aufgehoben. So dass täglich etwa genauso viele wieder zurück geschickt werden. Es sind hauptsächlich Eltern von Kindern, die in den USA geboren wurden. Sie kommen zurück in ein Land, in dem 30 % unter der Armutsgrenze leben. Der monatliche Mindestlohn von 260 EUR reicht nicht mal für die Lebensmittel.
Doch nun zurück ins hier und jetzt.
Wir schreiben April 2019. Noch am Abend unserer Anreise fahren wir mit unserem Mietauto in die Innenstadt San Salvador. Die einstige No-Go-Area ist seit drei Jahren unter dem jungen Bürgermeister Nayib Bukele (inzwischen Präsident) den Bewohnern zum Flanieren zurückgegeben worden. Mit mehr Beleuchtung, mehr Polizeistreifen, Absprachen mit den Maras (Banden) und dem Vertreiben der Markthändler, scheint dies gelungen zu sein. Wir fahren im Parcours durch Straßenstände, Händler, Fußgänger und Müll bis wir ein Parkhaus finden. Im Dunkeln und mit unserem Halbwissen grummelt es schon ein bisschen in der Magengrube. Nach einem halbstündigen Rundgang beschließen wir dann doch lieber in Quartiernähe etwas zu essen und fahren zurück.
Am nächsten Tag lassen wir uns dann doch lieber mit einem Taxi in die Stadt bringen. Bei der Free Walking Tour waren wir die Einzigen, aber unser Guide freut sich über jeden Touristen in seinem Land. Und um die Frage „Wie sicher ist El Salvador?“ zu beantworten, können wir sagen, dass wir uns nie unsicherer als in anderen lateinamerikanischen Ländern gefühlt haben. Die Präsenz von Security und Polizei ist hier sehr hoch. Uns ist nie etwas passiert. Wir fragen vor Ort die Einheimischen zur Situation und halten uns daran, vertrauen auf unser Bauchgefühl. Wertsachen sind stets im Hotelzimmer im eigenen Packsafe verstaut. Und mit einem Mietwagen fühlen wir uns ein bisschen getarnt.
Hier am Ende dieses Beitrags noch ein paar Impressionen aus der Hauptstadt San Salvador.
Eigentlich sollen alle Straßenhändler in dafür vorgesehenen Markthallen oder in Warenhäuser wie diese ziehen. Doch unser Guide meinte, dass die Angst vor einem Erdbeben zu groß sei. So stehen viele der Kolonialhäuser leer. Teilweise von den letzten Erdbeben 2001 gebrandmarkt, bei dem 944 Menschen starben.
Iglesia El Rosario wurde vom Bildhauer Ruben Martinez entworfen und 1971 fertiggestellt. Von außen mit Betonfassade ziemlich unspektakulär, ist sie die wohl schönste Kirche Mittelamerikas. Durch ihr gewölbtes Dach strahlt die Sonne durch bunte Gläser und taucht das Gotteshaus in Regenbogenlicht.
El Salvador hat auf engem Raum für Reisende sehr viel zu bieten, dazu gibt es bald weitere Blogbeiträge.
Super spannend und erdrückend. Die Geschichte kommt mir bekannt vor … hier in Guatemala war es ähnlich. Militärs, die Reichen und die USA mittendrin, wenn die Bevölkerung abgemetztelt wird. Eigentlich beeindruckend wie ruhig und zivilisiert alles ob dieser Vergangenheit doch ist …
Lg, Chris
Danke Chris. Ja habe ich auch gelesen, genau wie in Honduras. Ist schon krass die Rolle der Staaten. LG Yvonne